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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Aktualisiert: 13. Apr. 2021

Trost in der Untröstlichkeit: Roland Kachlers Bücher


Die Welt ist voll von solchen Listen: „10 songs that will save your life“, „30 books that saved my life“ und so weiter. Ich dachte immer, Musik ist mein größter Trost. Wenn etwas ganz Schlimmes passiert, wird sie da sein und mich begleiten, es gibt für jede Situation das richtige Lied. Das war schon so, als ich noch nicht mal ein Teenager war, und es gab keinen Grund, etwas anderes anzunehmen. Dann starb mein Geliebter – und ich konnte wochenlang gar keine Musik hören. Ich ertrug die Töne einfach nicht, vor allem nicht die, die mir besonders nahegehen. Unser Van Morrison: bloß nicht. Und allein beim Gedanken an „Sweetness Follows“ von R.E.M. brach ich in Tränen aus, Michael Stipes Stimme wäre viel zu viel gewesen.


Also versuchte ich es mit Serien, doch diese „Ablenkung“, von der so viele ständig redeten, half mir auch nicht weiter. Um einigermaßen einschlafen zu können, schaltete ich gern mein Gehirn mit einer Folge „Big Bang Theory“ aus, aber im Wachzustand wollte ich lieber wissen, wie ich eigentlich weiterleben kann. Und dazu musste ich die Trauer anschauen, vor ihr weglaufen bringt’s nicht.

So begann ich, wieder viel mehr zu lesen als vor seinem Tod. Eins der ersten Bücher, das ich zur Hand nahm, war „Damit aus meiner Trauer Liebe wird“ von Roland Kachler. So ein Glück! Dass er einer der führenden Trauer-Psychotherapeuten ist, wusste ich gar nicht, mir gefiel nur der Titel. Klang so positiv – obwohl ich gleichzeitig wusste, dass in meiner Trauer ja ganz viel Liebe IST. Man muss nur aufpassen, dass man die beiden Gefühle nicht gleichsetzt oder verwechselt. „Die Liebe ist der innerste Kern der Trauer“ stand gleich im ersten Absatz, und schon nach wenigen Seiten spürte ich eine Erleichterung, die den Schmerz nicht wegnahm, aber ihn ein bisschen erträglicher machte.


Kachler erlaubt den Trauernden etwas ganz Großartiges: Er lässt ihnen die Liebe, er sagt ihnen, dass sie gar nicht loslassen müssen. „Loslassen“: wie ich dieses Wort gehasst habe! Als könnte ich je aufhören zu lieben und ihn vergessen – nur weil er gestorben ist. Natürlich wollte ich mein eigenes Leben weiterführen, und natürlich wusste ich, dass er körperlich nicht mehr da war, doch alles in mir sträubte sich dagegen, dass ich mich auch seelisch von ihm trennen sollte. Und da sagt Kachler: Es geht um Liebe, nicht um Abschied. Für die Liebe müssen wir neue Wege finden. Einen neuen Platz in uns für den Gestorbenen, eine neue Freiheit für uns selbst. "Nicht loslassen“ bedeutet nicht, der Vergangenheit nachzuhängen und ewig in der Trauer festzustecken, sondern gemeinsam mit dem Gestorbenen die Gegenwart wieder lebenswert zu machen und eine Zukunft vorstellbar.


Ohne Beschönigung und mit viel Mitgefühl beschreibt Kachler den anfänglichen Schock, das Nichtwahrhabenwollen, dann die Sorgen, den Schmerz, die Erinnerungen, die Leere, die Schwierigkeit, den geeigneten Ort für den Geliebten zu finden. Wie sichern wir unsere Liebe, diese andere Form der Nähe, so dass sie uns nicht im Weg steht, sondern uns trägt? Dafür gibt es in dem Buch und ebenso in dem sehr praktischen Ratgeber „Was bei Trauer gut tut – Hilfe für schwere Stunden“ viele Impulse und Imaginationen. Einige Übungen fallen anfangs vielleicht schwer, ich habe auch nicht zu jedem Bild gleich einen Zugang gefunden. Einige haben mir allerdings sofort sehr geholfen – und oft waren es gerade die einfachen, naheliegenden: Die Träne, die zum funkelnden Kristall wird – und all das Heulen ist nicht mehr umsonst, es ist ein Zeichen der Liebe. Die Begegnung im Inneren – einen Raum schaffen, in dem ich den Geliebten umarmen darf und mich danach von ihm lösen kann, weil ich weiß, dass ich ihn jederzeit wieder besuchen kann. Kachler bietet viele verschiedene Möglichkeiten an, weil er weiß, dass die Trauer so individuell ist wie der Mensch an sich. Sie erwischt alle anders.


Es gibt keinen Trost. Er ist tot, ich werde ihn mein Leben lang vermissen. Es geht darum, diese Lücke aufzufüllen – mit einer neuen Art der Liebe. Wir können und dürfen die Verbindung zu geliebten Gestorbenen aufrechterhalten, sie pflegen, sie feiern und uns über sie freuen. Wir müssen niemanden hinter uns lassen, wir können gemeinsam weitergehen. Als ich das Buch von Kachler las, konnte ich mir noch nicht vorstellen, dass ich jemals wieder glücklich sein würde, aber ich bekam eine Ahnung davon, dass es möglich ist. Wie ein Lichtschimmer im Türspalt.


Roland Kachler: „Damit aus meiner Trauer Liebe wird – Neue Wege in der Trauerarbeit“ (Kreuz)

Roland Kachler: „Was bei Trauer gut tut – Hilfen für schwere Stunden“ (Kreuz)

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