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AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

U2: „How To Dismantle An Atomic Bomb“ (Universal, 2004)



Bevor dieser Blog ein bisschen Winterpause macht, weil das Leben einem selten Ruhe gönnt und man sie sich also selbst nehmen muss, soll noch mal gefeiert werden. Die Liebe natürlich, was sonst? "Love And Peace Or Else" heißt ein Stück auf dem U2-Album "How To Dismantle An Atomic Bomb", das jetzt 20 Jahre alt wird. Als ich 2004 mit Bono darüber gesprochen habe, hatte ich schon etwas Ahnung von Liebe, aber wenig Ahnung von Trauer. Bei unserem nächsten Treffen, 2017, war das ganz anders. In der Zwischenzeit hatte ich eine Ehe beendet, eine große Liebe gefunden und sie - zumindest in dieser Welt hier - verloren. Tatsächlich hatte ich vor allem sehr, sehr viel gewonnen - auch wenn ich das 2017, kurz nach dem plötzlichen Tod meines Liebsten, noch nicht so sehen konnte.

 

Wenn ich heute den Song "Sometimes You Can't Make It On Your Own" höre, dann mit einer ganz anderen Tiefe als früher - und mit dem Wissen, wie es ist, wenn geliebte Menschen sterben und man ihnen noch so viel sagen wollte. Noch so viel mit ihnen erleben wollte. So viel bedauert, so viel vermisst. Vor allem das: Das Vermissen ist das Härteste. Zu kapieren, dass die Lücke jetzt bis zum Rest des eigenen Lebens bleibt.


Bono singt in dem Lied von seinem Vater, der 2001 gestorben war. Ein harter Knochen, ein irischer Katholik, der sich vom Krebs eigentlich nicht kleinkriegen lassen wollte. "You don't have to put up a fight/ You don't have to always be right/ Let me take some of the punches/ For you tonight", schlägt der Sohn ihm vor. Man muss nicht allein durch die schlimmsten Situationen gehen - man schafft das gar nicht, das sagt ja schon der Songtitel. Nun ist der Beistand bei Eltern natürlich noch mal eine andere Sache als bei einem Geliebten, für den man - oder zumindest ich - einfach alles getan hätte, was irgendwie möglich ist, um ihm das Sterben zu erleichtern. (Und ich hatte das Glück, dass er das auch zugelassen hat und mich bis zum letzten Moment und darüber hinaus bei sich haben wollte.)

 

Bono war erst 14, als seine Mutter starb. Dem Vater war es danach nicht gelungen, das Haus zu einem Zuhause zu machen. Aber im Angesicht des Todes relativiert sich die Wut manchmal genauso wie die Enttäuschung, und mit Glück bleibt noch genügend Liebe übrig. Der Sänger sieht immer seinen Vater, wenn er in den Spiegel guckt, und er ahnt, warum sie so viel gestritten haben: "I don't need to hear you say/ That if we weren't so alike/ You'd like me a whole lot more." Wie kann man geliebte Menschen dann gehen lassen, wie kann man allein weiterleben? Damals habe ich gar nicht so darauf geachtet, was Bono am Ende singt: "Sometimes you can't make it/ The best you can do is to fake it." Heute ahne ich, was er damit meint: Erst lebt man fast mechanisch weiter - so als wäre das Leben noch da, obwohl man es überhaupt nicht mehr spürt. Man macht einfach weiter, kämpft sich durch die Gegenwart, ohne eine Zukunft zu sehen. Und mit Glück und vor allem mit viel Zeit taucht sie schließlich doch wieder auf.

 

"How To Dismantle An Atomic Bomb" erzählt von einer lange Reise - aus dem tiefsten Dunkel ins Licht. Im letzten Song, "Yahweh", fragt Bono: "Why the dark before the dawn?" Vielleicht weil wir die aufgehende Sonne nicht richtig zu schätzen wissen, bis wir die finsterste Nacht kennengelernt haben. Menschen, die diese verschlingende Leere kennen, die sich auftut, wenn alles verloren scheint, erkennen einander meistens. 2017 sagte Bono zu mir, die wichtigste Zeile auf dem Album "Songs Of Innocence" sei für ihn diese: "There is no end to grief, that's how I know there is no end to love."


Die Trauer ist auch ein Maßstab für die Liebe - beides ist unendlich, aber irgendwann tut das eine nicht mehr ganz so weh und das andere immer noch sehr gut. Deshalb werde ich diesen Satz (nicht von Bono, sondern von mir) bis an mein Lebensende hochhalten: Gegen die Liebe hat der Tod gar keine Chance.

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