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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Die Sache mit den Ratgebern: Greg Harvey „Bewusst trauern für Dummies” (Wiley Verlag)

Trauern kann jede*r, schon klar. Es passiert ja einfach, der Mensch hat keine Wahl. Auf einmal ist jemand Geliebtes weg, und die Lücke ist so unbegreiflich, dass sie einen komplett aus dem gewohnten Leben reißt. Die Gedanken an den Gestorbenen waren zumindest bei mir in den ersten Wochen und Monaten so übermächtig, dass sie fast den gesamten Raum einnahmen, den mein Herz und mein Gehirn zu bieten hatten. Heute muss ich ein bisschen darüber lachen, dass eins der ersten Bücher, die ich mir damals kaufte, „Bewusst trauern für Dummies“ war. Mir hat die „Schummelseite“ gefallen, die gleich am Anfang stand und sich heraustrennen ließ. Wenn einem ständig der Kopf zu explodieren scheint, tut es gut, sich an etwas festzuhalten. Einfache Sätze helfen da sehr.

Ich habe diese „Schummelseite“ also rausgerissen, abfotografiert und meiner Mutter geschickt, weil ich dachte, die Stichworte zu „Trauernden helfen“ machen es vielleicht für sie leichter. Unter anderem steht da:

„Nehmen Sie Trauernden niemals ihr Leid weg.“

„Versuchen Sie nicht, die Trauer mit den üblichen Plattitüden zu lindern.“

Das ist nicht so selbstverständlich, wie es vielleicht klingt. Ganz viele Menschen reden, oft unabsichtlich, die Trauer klein – sie wollen sie möglich schnell wegschaffen, damit alles wieder normal sein kann. Aber kein „Das wird schon wieder“ ist einem ein Trost, wenn der Geliebte weg ist, und „Du bist doch stark, du schaffst das“ bringt auch recht wenig. Was mir am meisten geholfen hat: Wenn Leute mich reden ließen, statt mir Ratschläge zu geben, und einfach zuhörten. Wenn sie die Trauer ausgehalten haben, all die Tränen nicht wegwischen wollten, sondern sie laufen ließen. Meine beste Freundin ist zu meinem allergrößten Glück so ein Mensch – ihr ist es gelungen, mir das Gefühl zu geben, dass ich keine Zumutung bin, sondern sogar in meinem desolaten Zustand immer noch eine Bereicherung. Wenn ich bei ihr saß, musste ich mich nicht verstellen und konnte zwischendurch wieder richtig atmen.

Was das „Dummies“-Buch angeht: Da stehen einige wirklich nicht dumme Dinge drin. Ich empfand zum Beispiel die Feststellung „Sie verlieren nicht den Verstand – der Verlust eines geliebten Menschen tut wirklich so weh!“ als Erleichterung. Heute, da ich das Buch nach vier Jahren erneut zur Hand nehme, wundere ich mich aber über den folgenden Satz: „Ihre Trauer wird früher oder später enden.“ Das wird an anderen Stellen allerdings relativiert – der alles aufzehrende, beißende Schmerz lässt nach, ja, doch die Trauer wird zum ständigen Begleiter, der irgendwann einfach selbstverständlich ist, ein kleiner dunkler Teil im sehr bunten Mosaik. Manchmal fragt mich jemand, ob ich „immer noch“ trauere, und dann sage ich: „Ja, er ist ja auch immer noch tot.“

Greg Harvey listet auch „10 Klischees über das Trauern“ auf, bei denen ich heute fast schmunzeln muss. Damals fand ich es empörend, wenn mir jemand damit kam. Zum Beispiel: „Denk nicht dauernd daran.“ Eine sogenannte Freundin empfahl mir, Marvel-Filme zu gucken oder andere Sachen zu machen, die „nichts mit ihm zu tun haben“. Die berühmte "Ablenkung". Ich konnte kaum zur Drogerie um die Ecke gehen, ohne zusammenzubrechen, und sie wollte mich ins Kino schicken. Mit Popcorn. Und während das Einzige, was mich einigermaßen am Leben hielt, die Erinnerungen an ihn waren, fand sie, ich solle jetzt mal aufhören mit all der Liebe. Da folgt schon das zweitdümmste Klischee: „Es muss auch mal weitergehen.“ Mit dieser „Freundin“ ging es jedenfalls so weiter, dass wir keine Freundinnen mehr sind. Sie konnte es nicht ertragen, dass ich nicht so trauern wollte, wie sie es sich vorstellte.

Niemand, der sich wirklich mit dem Verlust und der Trauer auseinandersetzt, ist danach jemals wieder dieselbe wie vorher. Deshalb gehen manche Freundschaften auseinander, deshalb tut sich die Familie, in der jede*r seit Ewigkeiten eine feste Rolle hat, oft besonders schwer. (In meinem Fall war das zweite allergrößte Glück, dass meine Schwester und ich uns durch diese Zeit, in der sie eine große Unterstützung war, näher sind denn je.) Und gleichzeitig öffnen sich, wenn das Schrecklichste überstanden ist und sich der Trauerschleier ein bisschen lüftet, durch die neuen Perspektiven wieder ganz andere Türen, und zu den alten Räumen kommen einige neue dazu.

Der entscheidende Schritt, wenn wir es geschafft haben, den Verlust anzuerkennen und die Trauer zuzulassen, ist: diesen Verlust dann ins eigene Leben zu integrieren. Die Trauer ist ja ein Akt der Liebe, und im Laufe der Zeit lernen wir (hoffentlich), dass wir mit den Gestorbenen verbunden bleiben, dass wir ihr Andenken bewahren können und weiterhin mit ihnen kommunizieren dürfen. Bei mir war es so, dass ich seinem sinnlosen Tod gern im Nachhinein einen Sinn geben wollte. Ich werde nie finden, dass es richtig war, dass er so früh gestorben ist, aber ich hoffe, dass er ein bisschen stolz darauf ist, was ich seitdem aus dieser Erfahrung gemacht habe – dass ich inzwischen Trauerbegleiterin bin und versuche, anderen Menschen zu helfen. Die Trauer führt im besten Fall zu mehr Mitgefühl und Tiefe, oft zu einer neuen Spiritualität. Aber mit Schamanismus und anderen Welten fange ich hier jetzt nicht auch noch an. Jedenfalls nicht heute.

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