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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Der etwas andere Sensenmann: Christian Y. Schmidt "Der kleine Herr Tod" (rowohlt)


Etwas Leichtes, sogar manchmal Lustiges über den Tod zu schreiben, ohne ihn kleinzureden: Das gelingt nur selten. Eigentlich möchte ich gar nichts Genaueres über Christian Y. Schmidts Geschichte erzählen, um all die Überraschungen nicht zu zerstören, die hier an jeder Ecke warten. „Der kleine Herr Tod“ ist ein erstaunliches Buch über einen der Typen, der für den Übergang verantwortlich ist, der uns allen bevorsteht. Der kleine Herr Tod hat es allerdings besonders schwer, denn er darf sich vorerst nicht um Menschen kümmern, sondern muss Fabrikhühner begleiten. Dann lernt er einen leukämiekranken Jungen kennen, der genau wie er sehr an Death Metal interessiert ist und noch einige Rechnungen offen hat, und dann… lesen Sie bitte selbst! Auch wer noch nie von Carcass oder Morbid Angel gehört hat, wird spüren, mit wie viel Liebe zum Detail hier nicht nur die Musikversessenheit der beiden, sondern auch alles andere beschrieben wird. Und wer das nicht merkt, kommt wohl aus Dösbaddelhausen!


Die zauberhaften Illustrationen von Ulrike Haseloff passen wunderbar zu der metaphernreichen Sprache Schmidts, beide bewegen sich verspielt, aber niemals infantil zwischen den Welten. Es ist Philosophie in der Verkleidung einer Kindergeschichte. Und zwischendrin steht dann dieser eine Killersatz: „Der Tod heilt die Menschen von der Krankheit des Lebens.“


Woran erinnerte mich das? Und warum empfinde ich – obwohl ich doch sehr gern lebe - den Satz nicht als Beleidung für das Leben, sondern als Trost? Weil es eben auch Menschen gibt, die am Leben leiden, und für die kann der Tod dann tatsächlich eine Erlösung sein. Und vielleicht bringt er sogar denen, die gar nicht gehen wollten, Frieden – ich hoffe es. Als mein Liebster starb, hatte ich das starke Gefühl, dass sich mit seinem Tod, obwohl er viel zu plötzlich, viel zu früh kam und einfach ganz und gar ungerecht war, immerhin auch seine Ängste, seine Lebenskatastrophen, sein Chaos in Luft auflösten. Nichts, was ihn im Alltag gequält hatte, war in den letzten Stunden noch wichtig, und danach schon gar nicht mehr. Und jetzt wusste ich wieder, wo ich etwas Ähnliches gelesen hatte – in Otmar Jenners (auch sehr empfehlenswerten) „Buch des Übergangs“. Otmar hat mir damals im Krankenhaus geraten, ich solle versuchen, meinen Liebsten möglichst gleichmütig zu begleiten, so schwer, so unfassbar schwer das auch sei – und ich glaube noch heute, dass ich deshalb dabei sein durfte, als er zum letzten Mal atmete. Weil er wusste, dass ich ihm beistehen möchte, dass ich es aushalte, so ruhig wie möglich. (Dass ich einige Stunden vorher noch einen Pfleger anpfiff, weil der dachte, er müsste jetzt das Zimmer putzen, sei mir verziehen – ich wollte einfach jede Minute, die wir noch hatten, ungestört bei ihm verbringen.) Es ging nicht mehr darum, noch irgendwas zu klären. Zwischen uns war alles gut, und was sonst in seinem Leben schiefgelaufen war, manches aus eigener Schuld, sehr vieles nicht, ließ sich jetzt auch nicht mehr bereinigen. Das war eben so.


Wenn ich daran denke und an all die Fehler, die wir – in unterschiedlicher Intensität – machen und die Krisen, die wir erleben, an all die Verletzungen und Ängste, all die Sackgassen und Abgründe, dann beruhigt mich diese Erkenntnis von Otmar: „Nicht selten ist auch der Tod heilsam. Als Heilung von den Irrtümern des Lebens.“

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