Die Trauer läuft immer mit: Hobotalk „Beauty In Madness“ (Virgin Music)
Menschen, die mich gut kennen, verdrehen manchmal schon die Augen, wenn sie den Bandnamen Hobotalk hören. Seit vor 21 Jahren deren Debütalbum „Beauty In Madness“ erschien, preise ich das Songwriting des Schotten Marc Pilley, ich mag seine sanften Folkpopsongs sehr. Als ich mich in meinen Liebsten verliebte, etwas mehr als ein Jahr vor seinem Tod, war das Erste, was ich ihm zusandte, ganz altmodisch per Post, eine „Beauty In Madness“-CD. Wenig später schickten wir etliche Päckchen hin und her, doch damals, ganz zu Beginn, war ich schüchtern und wusste noch nicht, was von all dem zu halten war. Wie ernst er es wirklich meinte, ob ich ihm tatsächlich so viel bedeutete. Also legte ich nur ein Post-it bei, es sollte beiläufig wirken. Eines der Lieder auf dem Album heißt „I Wait For You“, aber es gibt drei Lieder, bei denen ich mir recht sicher war, dass sie ihm etwas sagen würden.
In „Walks With Me“ singt Marc: „There’s nothing you can do about your past/ Just when you think it’s gone, it’s chasing you again/ Mine takes my hand in public, tracks me down and makes me stop/ And it walks with me…“ Es ist kein Selbstmitleid zu hören bei diesem Song, nur viel Melancholie. So ist es eben: Wir können unserer Vergangenheit nicht entkommen, sie begleitet uns ein Leben lang – sie hat uns ja auch zu dem gemacht, was wir sind. Mit Glück können wir noch (mit-)entscheiden, was wir werden. Ja, an die Chance, auch aus dem Schlimmsten das Bestmögliche machen zu können, habe ich – anders als mein Liebster - immer geglaubt. Allerdings habe ich auch nicht ganz so viel Schlimmes erlebt.
Das bringt mich zu „I’ve Seen Some Things“. Menschen, die irgendein Trauma hinter sich haben, erkennen einander ja oft, nicht immer können sie sich gegenseitig helfen. Das möchte ich auch allen, die mit Trauernden zu tun haben, sagen: Es geht gar nicht darum, den Schmerz wegzunehmen – das funktioniert sowieso nicht. So gern wir geliebte Menschen von allem Leid befreien würden, so sehr wir manchmal andere retten möchten. Was wir tun können, ist: den Schmerz in all seiner Unerträglichkeit aushalten. Da sein. Nichts wegwischen, nichts geringschätzen. Dem anderen das Gefühl geben, dass er/sie nichts verbergen muss, keine Zumutung ist. Mein Liebster hat einmal zu mir gesagt, er könne mir alles erzählen, so etwas Befreiendes habe er noch nie erlebt – für mich war das die schönste Liebeserklärung überhaupt. „I’m pretty hard to like/ But if you let me inside, I won’t ever leave your mind/ I don’t walk the same steps, never had a city dress/ I don’t do to impress/ And I can’t tell you anything, except: I mean all I say/ And I’m still around today/ And I’ve seen some things…“
Mein allerliebstes Hobotalk-Lied bleibt der Titelsong:„Ever lived a verse that ain’t been sung?... Ever wished you had done what you hadn’t done?... There’s my life, sometimes a little slow, sometimes crazy, sometimes a little low/ But it’s my life, and though it’s hard to see/ If there is beauty in madness, then it’s here with me.“ Später, als wir längst zusammen waren und in all den ekstatischen, wunderbaren Stunden manchmal fast die Schwere der Vergangenheit vergaßen, bis sie uns doch wieder eingeholt hat, habe ich in einem schwachen Moment sogar mal Springsteen zitiert – „We can live with the sadness/ I’ll love you with al the madness in my soul“ –, und natürlich mochte er das, aber natürlich wussten wir auch, dass es viel mehr als Traurigkeit war bei ihm. Seine Ängste, sein Chaos im Herzen und im Kopf konnten wir trotz all der Liebe nicht auflösen, wir hatten vielleicht auch einfach nicht genug Zeit. Ich hoffe, der Tod hat das dann für uns erledigt – er sah so friedlich aus, als er starb.
Als ich damals vom Krankenhaus zurück in seine Wohnung kam, nach der Diagnose, und wusste, dass unser Leben nie mehr dasselbe sein würde, sah ich mich dort plötzlich viel genauer um. Es kam mir alles unwirklich vor. Als warteten die Sachen darauf, dass er zurückkommt, als wäre auf einmal alles leblos ohne ihn. Ich wollte gar nichts anfassen, ich starrte nur auf ein paar Gegenstände und erinnerte mich daran, dass einer seiner Lieblingssätze immer war: „Das Herz nicht an Dinge hängen!“ Deshalb hatte er auch nicht viel. Auf dem Schreibtisch, neben seinem alten Notebook, auf dem er mir so viele Nachrichten geschrieben hatte, lagen nur ein paar Stifte, einige Zettel, ungeöffnete Briefe – und eine einzelne CD. „Beauty In Madness“.
Comments