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AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Über Trauer reden, reden, reden: Bob Geldof „Sex, Age And Death“ (Eagle)

An meine erste Begegnung mit verheerender, alles verzehrender Trauer erinnere ich mich genau. Es war 16 Jahre, bevor ich sie selbst erlebt habe. Wie so viele hatte ich als Kind schon Großeltern verloren und als Jugendliche einige Bekannte, aber das wurde wie das meiste in meiner Familie bewältigt: Nicht lange drüber reden und weitermachen. Dann dachte ich erst mal nicht mehr allzu viel an den Tod, weil ich so mit dem Leben beschäftigt war: ausziehen, studieren, Arbeit und Liebe suchen.


Im Sommer 2001 flog ich nach Deya/Mallorca, um Bob Geldof zu interviewen. Er hatte nach neun Jahren mal wieder ein Album gemacht, “Sex, Age And Death”. Ich war 29, und ich hatte noch nie einen so traurigen Menschen gesehen – oder jedenfalls nicht wahrgenommen. Er saß am Pool des teuersten Hotels der Insel und wirkte dort völlig fehl am Platz mit seinem kaputten Strohhut und den ausgetretenen Espandrillos. Er trug karierte Shorts, das Hemd zerknittert. Der ganze Mann war zerknittert, obwohl erst 49. Nebenan sprangen seine Töchter herum, darunter die 12-jährige Peaches, die mit 25 starb. Schon damals war Geldofs Leben von Katastrophen bestimmt. Seit er “Band Aid” und “Live Aid” initiiert hatte, lief die Musikkarriere nicht mehr, aber das war das Geringste. Sein Privatleben war eine Tragödie, die er selbst “fast Shakespeare-haft” nannte: 1996 hatte seine Ehefrau Paul Yates ihn sehr öffentlich für den INXS-Sänger Michael Hutchence verlassen, der sich ein Jahr später (vielleicht aus Versehen) selbst tötete. Im September 2000 starb Paula Yates an einer Überdosis Heroin. Geldof übernahm das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter der beiden. Ich dachte, er müsste inzwischen eigentlich einigermaßen über all das hinweg sein, wenn er sogar schon wieder Interviews gab. Ich hatte keine Ahnung.


Unser Gespräch sollte 40 Minuten dauern, aber wir saßen den ganzen Nachmittag an diesem Tisch im Schatten. Als Geldof erst einmal angefangen hatte, über seine Trauer zu reden, konnte er nicht mehr aufhören. Und ich, die nichts darüber wusste, tat instinktiv, weil ich ihn so gern mochte, wohl das Richtige: Ich hörte einfach zu - ohne ihn zu unterbrechen, ohne ihn trösten zu wollen. Ich spürte, dass er untröstlich war. Obwohl seine neue Frau Jeanne in der Nähe war, obwohl der Rotwein ihn beruhigte.


Auf dem Album singt Geldof Sätze wie “What the fuck’s going on inside your head?”, an Hutchence gerichtet, und über sich selbst: “The $ 6,000,000 loser rides again…/ Take my head and fuck with it/ Put it back again!” Ob die Einsamkeit in “Mind In Pocket” (“Talk to a totally nude girl for a dollar/ I’m in a topless mood/ But my dick can’t be bothered/ I want to speak to a fully clothed person/ For free, I think/ But I’m not really certain”), die Verzweiflung in “Scream in Vain”, die vorsichtige Zuversicht in “10.15”: Dass Geldof sich traute, diese fragilen, zerschossenen Lieder zu veröffentlichen, war an sich schon ein Triumph. Über sich selbst sagte er: “Ich bin eine personifizierte Seifenoper.” Er lachte, es klang wie ein Schnauben.


Was mir am eindrücklichsten in Erinnerung ist: Dass Bob Geldof ihren Namen nicht aussprechen konnte, er sagte nie “Paula”, sondern immer nur “sie”. Die Trennung nannte er “the thing”. Er erzählte, dass er sich für das Ding schäme, dass er immer noch das Gefühl hatte, versagt zu haben. Er schüttelte über sich selbst den Kopf, es sei so extrem gewesen. Er hätte sich am liebsten für Jahre verkrochen, doch er musste ja für die Kinder da sein. Und er wusste, dass so was eben passiert: Trennungen, Tode. Das wird man doch überleben! “Aber ich war so am Ende, konnte kaum atmen. Atmen war anstrengend. Man will weglaufen, doch man kann nicht.”


Fünf Jahre konnte er keinen Song schreiben, er konnte eigentlich gar nichts. “Ich schlief nicht. Ich stand nicht auf. Ich lag einfach da. Freunde haben für mich gekocht.” Vor allem sein Bassist Pete Briquette holte ihn langsam ins Leben zurück. Er setzte sich einfach ins Wohnzimmer, klampfte ein bisschen herum und wartete, bis Geldof irgendwann mit einstimmte. Er tat, was die besten Freunde tun: Er hielt Geldofs Trauer aus, er blieb bei ihm. Ohne ihn zu bedrängen. Er war einfach da, während Geldof ganz langsam zumindest den größten Schock überwand. “Ich musste mit allem neu anfangen. Als Mann habe ich überhaupt nicht mehr funktioniert, als Mensch auch nicht. Es ging gar nichts. Ich war in einer Art Koma. Alles war tot. Meine Freunde haben die letzten Reste von Lebendigkeit wieder aus mir herausgekitzelt.”


“Sex, Age And Death” klingt müde und kaputt, es erzählt von “Trauer und Schmerz und Verlust und Leere und Wut und Bitterkeit”. Geldof selbst warnte: “Es ist ein Album für zwei Uhr morgens – wenn Du alleine bist, keine Flasche Wein hast, nichts Romantisches.” Aber es ist auch ein Album, das Mut macht: Geldof ist es gelungen, wieder aufzustehen, die Katastrophe zu verarbeiten – und damit zu leben. Die Trauer geht vielleicht nie ganz weg, doch sie wird erträglicher, und irgendwann ist ein glückliches Leben wieder denkbar. Für eine personifizierte Seifenoper genauso wie für alle anderen Menschen. Was auf dem Weg dorthin hilft, ist Reden, Reden, Reden. Immer und immer wieder. Manchmal auch ständig dieselben Situationen durchspielen und besprechen, bis es nicht mehr nötig ist. Es ist ein Unterschied, ob wir die Trauer nur im eigenen Kopf hin- und herwälzen oder sie jemandem mitteilen. Schon der Akt des Worte-Bildens hilft beim Verstehen.


Und irgendwann (nach Wochen, Monaten, Jahren – das ist so unterschiedlich wie all die trauernden Menschen) werden die Tränen beim Erzählen weniger. Irgendwann werden die Zusammenhänge klarer und die Erinnerungen ordnen sich zwischen der Sehnsucht und dem Vermissen ein, ohne dass sie ständig nur wehtun. Es wird es sanfterer, wehmütiger Schmerz. Die Dankbarkeit bleibt, während die Verzweiflung geht, erst mal vielleicht nur stundenweise. Dann lugt die Hoffnung hervor, und das vergangene Glück steht dem gegenwärtigen und zukünftigen nicht mehr im Weg. Es ergänzt es.


Für sein nächstes Album brauchte Bob Geldof wieder neun Jahre. Er singt darauf auch über das Wunder, sich neu verlieben zu können: “See, I have barely survived/ Saw no point in being alive/ I was dazzled by you.” Alles ist möglich.

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