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AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Von der Materie und der Todlosigkeit: Lisa Freund „Geborgen im Grenzenlosen“ (O.W. Barth)

Vor einigen Jahren, in der heftigsten Trauerzeit, bin ich über ein Wort gestolpert, das ich zunächst gar nicht fassen konnte und das mich gleichzeitig sehr berührt hat: „Todlosigkeit“. Ich las es in einem Text der Sterbebegleiterin Lisa Freund. Sie beschrieb damit das Phänomen, dass unsere geliebten Gestorbenen ja gar nicht tot sind, sondern auf eine andere Art weiterleben. Dass wir im Sterben – oder beim Begleiten eines Sterbenden - begreifen, dass es die Unsterblichkeit tatsächlich gibt.


In ihrem Buch „Geborgen im Grenzenlosen“ sammelt sie viele Fakten über das Sterben zusammen, erklärt den Schwellenprozess und die schwierige Sache mit dem Loslassen. Sie bietet ein „Basiswissen“ für Angehörige und Helfer*innen in diesem Übergangszustand, es geht um spirituellen Beistand und die Möglichkeit einer neuen Sterbe- und Trauerkultur. Besonders gut gefallen mir die kleinen Übungen, die sie vorschlägt, um sich aufs Sterben vorzubereiten. Wie fühlt es sich an, das Materielle aufzugeben? Was bedeutet es, Bilanz zu ziehen? Da spielen natürlich auch Vergebung und das Klären von schwierigen Beziehungen eine große Rolle. Vor allem aber geht es darum, sich dem Prozess hinzugeben – ohne zu viele Erwartungen, mit möglichst wenig Angst.


Wer nicht das Glück hat, zu Hause sterben zu können oder dürfen, tut das meistens im Krankenhaus oder – um einiges angenehmer – im Hospiz. Beides bedeutet: Wir verlassen also zunächst schon mal unsere Wohnung, und mit ihr fast all unsere Besitztümer. Vielleicht sollten wir jetzt, solange wir gesund sind und voll im Leben stehen, gleich mal überlegen, was wir von all dem wirklich brauchen? Warum hängen wir so an manchen Sachen, könnten wir nicht das eine oder andere verschenken – einfach so? Oder wollen wir wenigstens in einem Testament festlegen, wer sich um den Kram einmal kümmern darf? (Ich habe das bereits gemacht und kann bestätigen, dass es eine gute Erfahrung ist: Zum einen weil zumindest mir klar wurde, dass es gar nicht so viel Materielles gibt, das mir wirklich wichtig ist. Zum anderen, weil ich sofort wusste, welche Freund*innen bedacht werden sollten. Nicht dass ich groß was zu vererben hätte, aber einfach als Geste. Und da war es wieder, eins der besten Gefühle der Welt: Dankbarkeit!)


Dann – ob zu Hause, im Krankenhaus oder Hospiz - verlassen wir Stück für Stück unseren Körper. Die Sinne ziehen sich zurück, das Begehren nimmt ab. Zuerst ist vielleicht noch der Wunsch da, noch einmal dieses oder jenes zu essen, irgendwann ist selbst ein Schluck Wasser zu viel. Mein Liebster konnte gerade noch den Arm heben, um mir über die Wange zu streichen, mehr Berührung war in den letzten Stunden nicht mehr möglich. Ich habe nur seine Hand gehalten und in den entscheidenden Sekunden seinen Kopf. Er war noch halb da, halb schon weg – dieser Schwebezustand ist für alle, die mitten im Leben sind, schwer zu begreifen. Und manchmal auch schwer zu ertragen. So viel hätte ich gern noch gesagt, so viel hätte ich gern noch gewusst, so viel hätte ich gern noch getan. Und doch wusste ich, dass die Zeit dafür vorbei war, und es jetzt darauf ankam, ihm einfach die nötige Ruhe zu schenken, damit er sich auf den Weg machen kann.


Und auch das gehört dazu: Das Gute sehen, ohne das Schlechte zu verdrängen. Mein Liebster starb in einem Krankenhaus, das keine richtige Palliativstation hatte, alle Angestellten schienen den Tod als Feind zu sehen. Sobald nichts mehr „zu tun“ war, also kein Leben mehr zu retten, stellten sie größtenteils auch Interesse und Mitgefühl ein. Wir mussten selbst dafür sorgen, dass wenigstens in den letzten Stunden keine Putzkraft mehr störte, kein Pfleger lärmend das Bett nebenan für den nächsten Patienten vorbereitete. Es gab keine Kerzen, keine beruhigende Musik. Da waren nur wir, die meisten Zeit allein, dann kam noch eine Freundin hinzu.


Wir redeten kaum noch, dann hast Du mich angesehen, dann zum letzten Mal ausgeatmet. Es war so leise und doch ein erhabender Moment. Ich glaube, dass es trotz der äußeren Umstände tatsächlich – wie ein Freund es ausdrückte – „ein erfolgreicher Tod“ war, denn Du hattest keine Schmerzen, und Du warst nicht allein. Was es gab, war: sehr viel Liebe.



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