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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

"Trost der Worte" (herausgegeben von Lena Wehbring-Wolf, Reclam)


Vor einigen Tagen habe ich angefangen, eine neue kleine Trauergruppe zu leiten. Obwohl mein persönlicher Verlust fast fünf Jahre her ist, obwohl ich mehr als zwei Jahre lang eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin gemacht habe, obwohl ich mich bereit dafür fühlte, war ich doch mächtig aufgeregt. Es ist ein bisschen seltsam, völlig fremden Menschen gegenüberzusitzen, die sich von ihren innersten Gefühlen erzählen sollen, von Schmerz und Verzweiflung - und meistens passiert dann doch etwas Tröstliches. Egal wie unterschiedlich die Situationen und Lebensverhältnisse sind, das gegenseitige Verständnis ist sofort da, denn uns verbindet ja eins: Wir wissen, was Trauer bedeutet. Deshalb fällt das Reden nach der anfänglichen Schüchternheit auch gar nicht so schwer.


Nächstes Mal bringe ich vielleicht ein kleines Buch mit, in dem viele große Gedanken stehen. Lena Wehbring-Wolf hat in „Trost der Worte“ verschiedene Sichtweisen auf Tod, Trauer und Trost zusammengesammelt, in sehr unterschiedlichen Formen. Das macht das Buch aus: Es schließt niemanden aus, es lässt alle möglichen Reaktionen zu – und schafft damit genau das, was der Titel sagt. Man fühlt sich weniger allein. In ihrem berührenden Nachwort schreibt die Herausgeberin etwas sehr Wahres: „Niemand weiß wirklich, was nach dem Tod kommt. Niemand KANN es wissen.“ Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum wir niemals ganz begreifen können, dass jemand Geliebtes gestorben ist: Es ist einfach unfassbar. Mit Glück machen wir irgendwann unseren Frieden damit, wir nehmen es hin, und doch bleibt immer dieses kleine Kopfschütteln: Das kann doch gar nicht sein… Natürlich kann auch ich es nicht wissen, aber für mich bin ich sicher, dass kein Mensch jemals weg ist, im großen Nichts verschwindet. Dafür spüre ich die Anwesenheit meines Liebsten viel zu sehr. „Leben und Tod sind eins wie Fluss und Meer“, sagte Khalil Gibrans Prophet, und da gibt es eben keine scharfe Trennlinie. Alles fließt.


Ob Goethes „Trost in Tränen“ oder Hölderlins „Hälfte des Lebens“, Nelly Sachs oder Hilde Domin, die „Humpelnde Welt“ von Ringelnatz: Die vielen Gedichte und wenigen Prosa-Stücke zu Abschied und Erinnerungen, zu Hoffnungsfunken und zur Ermutigung ergeben ein rundes Bild, zarte Blumenzeichnungen unterstreichen die Vergänglichkeit und geben den oft schweren Texten gleichzeitig eine schöne Leichtigkeit. Man merkt dem Buch die Liebe an, mit der es zusammengestellt wurde – von einer Trauernden für Trauernde. Nach einem Verlust kämpft jede*r auch gegen die Einsamkeit, die Leere, gegen die Lücke, die unsere geliebten Menschen hinterlassen. Dann hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass wir mit unseren Erinnerungen ja dafür sorgen, dass sie niemals vergessen werden, immer ihren Platz auch auf dieser Welt hier haben werden, auch wenn sie längst woanders sind. „Liebe bedeutet Unsterblichkeit“, wusste Emily Dickinson.


Das heißt nicht, dass wir ewig trauern müssen. „Auf den Flügeln der Zeit verfliegt die Traurigkeit“, schrieb Jean de la Fountaine, und das klingt viel besser als die hohle Phrase „Die Zeit heilt alle Wunden“. Die Wunden bleiben nämlich, so wie die Lücke, aber wir lernen, mit beidem zu leben. Aus der tiefen Traurigkeit wird eine sanftere, dann irgendwann darf sie ganz gehen – und die Liebe bleibt.

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