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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Susann Brückner & Caroline Kraft: "endlich. Über Trauer reden" (Goldmann)

"Über Trauer reden": Das Thema kommt hier in meinem Blog naturgemäß ständig vor. Mir erscheint es manchmal fast seltsam, dass immer noch betont werden muss, dass es sinnvoll ist, über Tod und Trauer zu sprechen – aber klar: Viele Menschen schweigen lieber dazu, solange sie können. Bis der Schmerz irgendwann so groß wird, dass Verdrängen keine Option mehr ist. Es ist also gut, dass Susann Brückner und Caroline Kraft noch mal darauf hinweisen, wie wichtig der Austausch im Trauerprozess ist und dass niemand allein durch die schwersten Zeiten durchgehen sollte. Wir können uns gegenseitig helfen, so viel mehr als Verständnis und Mitgefühl braucht es dafür gar nicht.


"Keine Liebe ohne Trauer" steht dem Buch wie ein Motto voran, auch das eine Selbstverständlichkeit. Selbst wer an die Liebe für alle Ewigkeit glaubt, wird sich hier auf der Erde einmal verabschieden müssen. Und wie weh das tut: Das beschreiben die beiden Autorinnen sehr deutlich, sie haben es erlebt. Und überlebt. Was sind die schlimmsten Stolpersteine, was die besten Strategien, welche Überraschungen erleben wir auf dem Weg? All das kommt in "endlich." zur Sprache. Mir ist manches ein bisschen zu flapsig (die Kapitelüberschrift "Aus Scheiße Liebe machen" zum Beispiel), vieles trifft den Kern allerdings genau - und sie scheuen auch nicht vor schwierigeren Aspekten zurück. Sex zum Beispiel. Wie kann das sein, dass man während der Trauer plötzlich unbändige Lust empfindet? Muss man sich dann schuldig fühlen, darf man das ausleben? (Das Gegenteil, gar keine Libido, ist ebenfalls ein Problem vieler Trauernder, leuchtet den meisten Leuten aber eher ein.) Ist Sex eine Art Selbsthilfe - und was, wenn nach dem Trost die noch größere Traurigkeit kommt?


Es ist, mal wieder, alles eine Frage der Sehnsucht. Bei mir zum Beispiel kam der Tod inmitten der größten Verliebtheit - wir waren gerade ein Jahr zusammen, wir hatten noch nicht mal richtig gestritten. Alles war noch neu und aufregend und voller Versprechen. Und dann war es vorbei. Zack, weg. Natürlich "nur" sein Körper - doch den hatte ich ja auch so sehr geliebt, den wollte ich so gern zurückhaben. Die Verzweiflung, wenn die Gefühle und die Hormone vom Himmel direkt in den Keller gehen, ist schwer zu beschreiben. Alle sahen sie. Deshalb mieden mich manche Leute, andere hielten es glücklicherweise aus - und zwei, drei Männer boten sich recht schnell an, mich über den Verlust hinwegzutrösten. Der eine dezenter als der andere, aber die Botschaft war eindeutig. Das erste Angebot bekam ich - kein Witz! - bei der Trauerfeier. Heute muss ich fast darüber lachen, damals dachte ich: Vielleicht sollte ich darauf eingehen, vielleicht fände mein Liebster das richtig - er war ja immer der Meinung, Monate oder gar Jahre ohne Sex sind Zeitverschwendung. Und dass eine Frau mindestens zweimal in der Woche einen Orgasmus haben sollte. (Gut, dafür kann man allein sorgen.) Jedenfalls bin ich inzwischen ganz froh, dass ich durch die Trauer viel zu erschöpft war, um mich in der Richtung weiter zu engagieren. Weder mein Körper noch mein Herz wären bereit gewesen für ein Abenteuer, und meine Gefühle waren so sehr in einer anderen Welt, dass nicht viel übrig war für alles Irdische. Es hätte nur enttäuschend sein können.


Der letzte Satz in "endlich." lautet: "Die Liebe wiederfinden, das ist es, worauf es ankommt." Ich hatte nie das Gefühl, sie verloren zu haben, ein großes Glück. Aber auch ich musste erst eine neue, andere Verbindung zu meinem Liebsten finden - noch heute erinnere ich mich sehr genau und sehr gern an alles Körperliche, aber ich habe akzeptiert, dass es in dieser Welt keine Chance mehr gibt, das noch mal mit ihm zu erleben. Das ist so, so schade – und doch eine Tatsache. Als ich das verstanden hatte, konnte ich mir erlauben, mich nach neuen Möglichkeiten umzusehen. Er gönnt mir das, auf jeden Fall.

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