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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

"The Sixth Sense"


Was einem vorher auch niemand erzählt: dass Trauer dafür sorgen kann, dass einem bestimmte Filme oder Serien plötzlich viel zu nahe gehen. So unangenehm nahe, dass man sich künftig zweimal überlegt, welche Filme man gucken kann - und mit wem. (Bei Büchern ist es ähnlich, allerdings liest man die ja eher selten in Gesellschaft.) Ich gehörte schon immer zu den Leuten, die sich im Kino nicht zusammenreißen können und sehr viel weinen. Als Teenager musste ich bei "Einer flog über das Kuckucksnest" nach dem Abspann noch eine halbe Stunde sitzen bleiben, weil es meiner Freundin zu peinlich war, mich so verheult nach draußen zu begleiten. Auch bei manchen Folgen von "House" habe ich später arg gelitten, "Grey's Anatomy" mit all den Todesfällen konnte ich irgendwann nicht weiter sehen. Aber seit mein Liebster gestorben ist, fällt es mir noch viel, viel schwerer, manche Szenen auszuhalten. Da kann ich mir noch so oft sagen: ist doch nur Fiktion.


Neulich zum Beispiel "The Sixth Sense". Habe ich gesehen, als er 1999 anlief, und nun kreuzte er meinen Weg bei einem Streamingdienst. Also: warum nicht noch mal prüfen, ob der Film die Zeit gut überstanden hat? Damals war er eine kleine Sensation - der Durchbruch für den Regisseur M. Night Shyamalan. Noch Monate später zitierten Leute den Satz "I see dead people!" In dem Psychothriller konnte der kleine Cole (Haley Joel Osment) nämlich Geister sehen. Zuerst ängstigte ihn das naturgemäß sehr, zumal die oft fies zugerichtet waren - durch Unfälle oder Gewalteinwirkung. Seine Mutter wollte ihm gern helfen, doch er traute sich gar nicht, ihr davon zu erzählen. Dann lernte der Junge mit dem Psychologen Malcolm Crowe (Bruce Willis), sich den Geistern zu nähern und ihnen Hilfe anzubieten - und seine Panik verschwand. Ein klassisches Beispiel dafür, dass es nichts bringt, vor seinen Ängsten wegzulaufen. Der Film hat am Schluss - wie all die künftigen von Shyamalan - noch einen extremen Plot-Twist, der hier nicht verraten werden soll, falls ihn jemand tatsächlich noch nicht kennt. Auf jeden Fall wird es gegen Ende recht dramatisch und auch pathetisch, und ich weiß noch, dass ich damals dachte: Das ist schon alles rührend, aber vor allem ist es sehr gut gemacht.


Das fand ich diesmal immer noch, obwohl ich die Auflösung von Anfang an kannte. Was ich nicht gedacht hätte und extrem verwundert zur Kenntnis nahm: Ich saß noch eine halbe Stunde nach dem Abspann da und heulte. Zurück im Kuckucksnest! Es hat mich so sehr mitgenommen, wie die Gestorbenen in dem Film leiden - weil sie nicht wahrhaben wollen, dass sie tot sind, oder weil sie unbedingt noch etwas klarstellen wollen - und wie verzweifelt die Hinterbliebenen eine Verbindung zu ihnen suchen. Selbst die materialistischsten, unspirituellsten Leute möchten nicht, dass ein geliebter Mensch für immer und ohne jede Spur weg ist, nachdem er zum letzten Mal geatmet hat. Was folgt daraus? Natürlich weiß niemand und auch ich nicht, wie es nach dem Tod weitergeht. Dass es weitergeht, ist für mich klar. Gleichzeitig verstehe ich, wenn andere das anders sehen ("noch", möchte ich hinzufügen, denn direkte Begegnungen mit dem Tod führen häufig zu einem Umdenken). Vor allem aber möchte ich jede*n ermutigen, alles, was jetzt, in diesem Moment oder wenigstens in diesem Monat, in diesem Jahr klärbar ist, wirklich zu klären. Weil wir niemals wissen, wie viel Zeit dafür bleibt.


Ich versuche es jetzt mal mit der Serie "The Ghost Whisperer". Vor 15 Jahren fand ich Jennifer Love Hewitt als Medium oder Geisterflüstererin sehr süß, die Serie etwas zu kitschig. Ich schätze, in einer Stunde ist eine Packung Taschentücher verbraucht.


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