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AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Aktualisiert: 28. Juli 2023

Gabriele von Arnim: "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand" (Rowohlt)

Hin und wieder ist es vielleicht auch sinnvoll zu wissen, welche Bücher sich für akut Trauernde eher nicht eignen. Gabriele von Arnims Erinnerungen sind großartig, sie sind wahrhaftig und präzise - aber man muss sie aushalten können. Auch sechs Jahre nach dem Tod meines Liebsten musste ich die Lektüre mehrfach unterbrechen und eine Pause einlegen, weil mir der Schmerz, der aus den Seiten quillt, zu viel wurde. Dabei hat sie nicht einmal etwas Ähnliches erlebt wie ich, ja fast das Gegenteil. Während mir der Geliebte ganz schnell, innerhalb von zwei Wochen, wegstarb, zog sich der Prozess bei ihrem Ehemann über zehn Jahre hin. Schlaganfälle, eingesperrt im eigenen Körper, kaum noch kommunikationsfähig.

Gabriele von Arnim beschreibt die Situationen mit dem Kranken, dann dem Sterbenden, dann der Trauer genau, sie beschönigt nichts. Es gibt sehr viel Verzweiflung in diesem Buch, sehr viele Fragen nach dem Sinn - und sehr viel Liebe und Mitgefühl. "Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben" - an diesen Satz von Joan Didion erinnert sie sich, und auch das ist dieses Buch: ein Überlebensroman. Immer wieder, während ich darin las, kippten meine Gedanken weg, nach "damals" - wie es bei uns im Krankenhaus war, welche Ängste ich hatte, womit wir kämpften. Wenn andere Menschen mir vom Tod ihrer Nächsten erzählen, passe ich immer auf, nicht gleich zu sagen, wie das alles bei uns war. Weil kein Sterben und keine Trauer mit der anderen vergleichbar ist, vor allem aber, weil nichts so sehr nervt, wie wenn einem die Einzigartigkeit genommen wird, indem jemand sofort behauptet, er kenne das alles. Doch natürlich gibt es immer Gemeinsamkeiten, und die helfen einem irgendwann auch, das Schicksal nicht mehr zu persönlich zu nehmen. Es gibt niemanden, der im Laufe seines Lebens nicht mit Trauer konfrontiert werden wird.

Bei uns ging alles so plötzlich, die Liebe und dann der Tod, und deshalb denke ich natürlich immer: So gern hätte ich noch so viel mehr entdeckt! Es gibt so vieles, bei dem ich heute gern nachfragen würde, und Momente, in denen ich Dich jetzt nicht so einfach mit einer lustigen Bemerkung davonkommen lassen würde. Wir waren uns so, so nahe, und doch wird es mir niemals reichen - weil Du gestorben bist, bevor ich die Chance hatte, noch viel mehr von Dir zu sehen. Ich hätte mich so gern einmal richtig mit Dir gestritten. Gewusst, ob es nicht doch etwas gab, was Dich an mir genervt hätte. (Bestimmt.) Herausgefunden, wie anstrengend ich es mit Dir finde, wenn der Verliebtheitsschleier nach dem ersten Jahr langsam nicht mehr die Probleme verdeckt. So weit kamen wir ja gar nicht, dann bist Du gestorben, und so wirst Du für mich auf eine Art immer der wunderbarste Geliebte bleiben - dessen Schwachstellen ich nur theoretisch kannte. So gern hätte ich mich noch jahrelang über sie aufgeregt.

Hätte, hätte, hätte. Wenn ich gewusst hätte, wie wenig Zeit uns bleibt, wäre ich wahrscheinlich weniger geduldig gewesen, nicht so sanft, fordernder. Ob das etwas gebracht hätte? Es ist sinnlos, darüber zu spekulieren. Für uns war alles so richtig, wie es war. In der Zukunft kann ich manches dann anders machen.

Auch dafür danke ich Dir: dass ich gelernt habe, (noch) ehrlicher und klarer zu sein, und keine Möglichkeit auszulassen, geliebten Menschen nahezukommen. Manchmal verschreckt das andere ein bisschen, aber die Leute, die es wert sind, nehmen die Herausforderung an. Warum wagen wir es nicht, uns so zu begegnen, wie wir wirklich sind? In der Arbeit, im Alltag müssen wir so oft Rollen spielen, uns zusammenreißen, die Fassade aufrechterhalten. Unter Freunden und Geliebten möchte ich das nicht mehr. Da möchte ich echt sein.

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