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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Nick Cave: „Glaube, Hoffnung und Gemetzel“ (KiWi)

"Das kann doch gar nicht sein." Ein Satz, der häufig gedacht wird, wenn jemand gestorben ist, und wir uns nicht vorstellen können, dass dieser Mensch jetzt nicht mehr auf der Erde sein soll. Manchmal gibt es auch Schicksale, bei denen einem kein anderer Satz einfällt. Zum Beispiel bei Nick Cave.


Als Caves fünfzehnjähriger Sohn Arthur im Juli 2015 von einer Kippe stürzte, mochte man sich den Schmerz des Vaters kaum vorstellen. Im Mai 2022 starb dann noch sein Sohn Jethro (31). Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen? In dem Interviewband "Glaube, Hoffnung und Gemetzel" erlaubt der Songschreiber uns (bzw. dem Journalisten Sean O'Hagan) viele Einsichten in seine Trauer - auch wenn es vor Jethros Tod in den Druck ging. Allein Caves Berichte an die Zeit direkt nach dem Verlust Arthurs drehen einem den Magen um. Cave gibt zu, sich an "nicht sonderlich viel" zu erinnern: "Überwiegend daran, auf der Treppe hinterm Haus weit ab von allen gesessen und geraucht zu haben und den brüllenden körperlichen Schock des Ganzen gespürt zu haben, wie eine fremde Energie, die aus meinen Fingerspitzen hervorschoss. Ich erinnere mich daran, dass ich körperlich detonierte, als würde jede Bewegung dazu führen, dass ich im Wortsinn explodiere, so prall gefüllt mit Verzweiflung war mein Körper." Ich verstehe genau, was er meint: Die Lücke, die ein geliebter Mensch hinterlässt, ist so dermaßen körperlich spürbar, so verheerend, dass sie in manchen Momenten kaum auszuhalten ist - und diese Momente ziehen sich hin: "Alles wurde in diese Nacht gesaugt, diese alles tilgende Kraft, die alles andere auslöscht ... Die Tage vergingen, Wochen, Monate."


Es wird leichter, das können alle versprechen, die diese Monate kennen, und doch: Es ist so hart, so katastrophal - und ich sage das so eindeutig, weil es mir damals nach dem Tod meines Geliebten geholfen hat, zu wissen, dass ich nicht verrückt werde, sondern dass es normal ist, erst mal nichts Anderes mehr zu empfinden als diese grauenhafte Leere. Und das Ohnmachtsgefühl, dass wir den Tod nicht verhindern konnten. Diese Hilflosigkeit kennen auch die Menschen, die helfen wollen. Zumal jede:r anders trauert, und entsprechend sind die Bedürfnisse unterschiedlich. Die einen wollen so viel wie möglich reden, die anderen gar nicht. Manchmal muss es reichen, eine Suppe vorbeizubringen, manchmal ist eine direkte Frage nach dem momentanen Zustand das Richtige. Ein "falsch" gibt es allerdings eigentlich gar nicht, solange das Mitgefühl von Herzen kommt. Trotzdem fiel Cave auf, wie kompliziert der Umgang mit Trauernden ist: "Das ist alles so schwer, es ist unmöglich, sich da durchzubewegen. Auch wenn ich inzwischen verstehe, dass es gut ist, wenn Menschen versuchen herauszufinden, wie es trauernden Menschen geht, dass man ihnen also vielleicht Fragen stellt. Es gibt ein großes Zögern bei diesem Thema, da es sich übergriffig anfühlt, aber Hinterbliebene müssen manchmal etwas dazu ermutigt werden zu reden. Sie neigen zum Schweigen, da sie sich Sorgen um die Auswirkungen ihrer Trauer auf andere machen. Und diese Stille kann zu einer Gewohnheit werden und zugleich aber einen fürchterlichen Druck aufbauen."


Wer schon das Gefühl hat, dass der eigene Verlust unerträglich ist, der möchte sich oft anderen nicht zumuten: Wie sollen sie reagieren, was könnten sie schon tun? Der Geliebte ist weg, es gibt keinen Trost. Und doch: Allein das Dasein anderer Menschen ist ein Trost, ihr Verständnis oft ein kleiner Grund, weiterleben zu wollen. Und dann ergibt sich vielleicht, hoffentlich das, was Nick Cave auch beschreibt - eine neue Tiefe: "Ich glaube, dass die Trauer uns neu erfindet. Wenn ich Trauer sage, meine ich das zweite Leben, das wir nach dem Trauma führen. Es fühlt sich wesentlicher an. Die Art, wie wir auf Dinge reagieren, hat sich verändert - wir werden als Menschen präziser." Fast immer gehen dann einige Verbindungen verloren, weil wir merken, dass sie gar nicht so bedeutend sind, und andere Leute, von denen wir es nicht erwartet haben, halten uns - und so entsteht ein neuer Freundeskreis um uns, der sehr oft noch liebevoller und inniger ist als der davor. Weil wir die Liebe (und Freundschaft ist ja nur eine andere Art von Liebe) mehr zu schätzen wissen, und damit die Zeit, die wir mit unseren Nächsten haben.


"We live as we dream, alone", schrieb Joseph Conrad in "Heart Of Darkness". Dass wir im Kern allein sind, heißt aber nicht, dass wir einsam sein müssen. Im Leben wie im Sterben gibt es nichts Schöneres, als geliebte Menschen an der Seite zu haben.

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