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AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Karin Simon: Von Bleiben war nie die Rede” (Knaur Menssana)

Karin Simon weiß viel über den Tod, sie hat ihn oft miterlebt - als Krankenschwester, als Sterbebegleiterin und vor allem als Mensch. Beinahe hätte er sie selbst einkassiert, doch das hat zum Glück nicht geklappt, sonst gäbe es dieses Buch jetzt gar nicht. Der Untertitel lautet "Eine Sterbeamme erzählt vom großen Abschied und wie er ohne Angst gut gelingt". Karin hat sich - wie ich auch - an der Akademie von Claudia Cardinal weitergebildet, um Sterbenden und Trauernden noch besser beistehen zu können. Claudia, eine Pionierin in der Trauerarbeit, stattet ihre Schülerinnen mit einem Koffer voller Werkzeuge aus, die uns helfen, anderen zu helfen, indem wir dem Sterben ohne Scheu begegnen. Ich kenne Karin Simon nicht persönlich, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr Koffer schon vor dieser Ausbildung gut gefüllt war. Sie scheint von klein auf einen guten Draht in die Anderswelt gehabt zu haben - und sie beschreibt ihre Erlebnisse zwischen Dies- und Jenseits auf eine so bodenständige, angenehm unpathetische Weise, dass sich hoffentlich viele Menschen eingeladen fühlen, ihr zuzuhören.


Vielleicht liegt es daran, dass Karin - auch wie ich - aus Bayern stammt, wo spirituelle Sichtweisen abseits vom Katholizismus eher argwöhnisch beäugt werden. Das schult die Fähigkeit, mit solchen Gedanken behutsam auf andere zuzugehen. Auf jeden Fall gelingt es ihr, gar nicht abgehoben, sondern pragmatisch von den vielen Stolpersteinen zu erzählen, die einem beim Sterben im Weg stehen können, und wie wir sie überspringen können - und gleichzeitig behält sie stets das große Ganze im Auge. Wer sich darauf einlassen möchte, kann Schutzwesen und höheren Mächten begegnen. Muss aber nicht sein. Die bayrische Schamanin bietet Möglichkeiten an, sie macht Fenster auf. Durchgucken muss schon jede:r selbst.


Auf manchen Seiten ist's mir dann doch eine blumige Redewendung zu viel, das mag an der Ghostwriterin Shirley Michaela Seul liegen. Dabei blitzt das Herz von Karin Simon allerdings immer durch, und ihr Erfahrungsschatz ist enorm. Sie beschreibt so viele Situationen, in denen Sterbende und ihre Zugehörigen nach dem richtigen Weg suchen - und mit ihrer direkten Art gibt sie viele Impulse, wie der vielleicht zu finden ist. "Wie tröstend wäre es", schreibt sie, "wenn wir allumfassend begreifen würden, dass wir einen physischen Körper haben, aber nicht dieser physische Körper sind." Sie plädiert dafür, sich am Lebensende zu fragen, was sinnvoll ist: auf die Lebensqualität zu achten oder alles Machbare zu unternehmen, um weiter zu existieren? Selbstbestimmtheit, auch im Angesicht des Todes. Und sie ermutigt alle, sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen. Es kommt ja sowieso irgendwann. Sie drängt einem dabei keine Sichtweisen auf, sie schildert nur ihre. Und manchmal bringt sie es ganz prosaisch auf den Punkt: "Der Tod scheißt auf Regeln. Improvisieren ist das Gebot der Stunde."


Das erinnert mich daran, wie mein Liebster im Krankenhaus lag. Es waren seine letzten Tage, wir ahnten das, so richtig fassen konnten wir es nicht. Er wünschte sich meine Nähe, war aber zu schwach, um noch viel zu reden. Wir saßen da, Hand in Hand, und schauten ins Nichts. Dann sagte er, ich könne doch vielleicht über die Besuchszeit hinaus bleiben, wenn ich wolle, und damit mir nicht langweilig wird: "Vielleicht könntest du einfach hier sitzen und ein Buch lesen?" Selten war ich so glücklich wie in diesem Moment. Für diese stillen Stunden bin ich bis heute dankbar. Eine Krankenschwester wie Karin Simon wäre schön gewesen damals. Immerhin eine hatten wir, die verstand, dass für uns jetzt jede Minute kostbar war. Der Rest des Personals zog es vor, so zu tun, als würde mein Liebster gar nicht sterben. Der Tod ist für viele Ärzt:innen wohl eine Niederlage, auch wenn er unvermeidbar ist.


Auf die Trauer geht Karin Simon gegen Ende nicht sehr ausführlich ein, gibt aber einige entscheidende Hinweise. Mein liebster Satz: "Von außen kann Trauer nie, nie, niemals beurteilt werden." Weil jede Trauer so individuell ist wie es der Mensch selbst eben auch. Wir können unsere Erfahrungen austauschen, und es tut gut, das zu machen, doch letztendlich weiß nur jede:r für sich selbst, wie der Verlust am besten zu überleben ist - und wie wieder Hoffnung einkehren könnte. Das letzte Kapitel in ihrem Buch heißt nicht umsonst "Trau dich!"


Oft finden es Leute zum Beispiel seltsam, dass ich fast sieben Jahre nach dem Tod meines Liebsten immer noch sein Shirt in meiner Nachttischschublade liegen habe. Ich verspreche: Wenn es mal jemanden stören sollte, den ich gern im Bett neben mir haben möchte, dann finde ich einen anderen Platz dafür! Ich weiß, dass mein Liebster das sofort abnicken würde, er neigte nicht zu unnötiger Eifersucht. Sein Platz in meinem Herzen ist ja für immer sicher. Aber mein Herz ist so groß, da passt noch mehr rein.


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