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  • AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Sarah Benz & Katrin Trommler: “Sarggeschichten - Warum selbstbestimmtes Abschiednehmen so wichtig ist" (Mosaik)


 

"Hätte ich das doch schon eher gewusst" ist ein Satz, den viele Trauernde sagen. Das ist ein Grund, warum es die "Sarggeschichten" gibt, die als YouTube-Kurzfilme begannen und jetzt auch gedruckt vorliegen. Es soll ein "Mutmachbuch" sein - "für eine Zeit im Leben, in der Menschen geschwächt und verletzlich sind". Die wenigsten können richtig klar denken, wenn ein geliebter Mensch stirbt - und genau deshalb ist es sinnvoll, manches schon vorher wenigstens mal theoretisch überlegt zu haben. Die Gefühle sind so extrem nach einem großen Verlust, man ist so überwältigt - da kann es nur hilfreich sein, wenn einen das Praktische nicht zusätzlich komplett überfordert.

 

Es gibt viele nützliche Hinweise in diesem Buch und insgesamt einen sehr guten Überblick über all die Dinge, die mit dem Tod zusammenhängen - von den nötigen Papieren (Vorsorgevollmacht und so weiter) über die verschiedenen Möglichkeiten des Abschiednehmens bis zu den Bestattungsarten. Dem Sterben außerhalb des eigenen Zuhauses widmen die Autorinnen besonders viele Seiten - denn dort endet das Leben für die meisten Menschen. Im Hospiz geht es gewöhnlich ruhiger zu, doch Krankenhäuser sind eine Herausforderung - für die Sterbenden, aber auch für die Zugehörigen:  Gerade in so einer Ausnahmesituation begreift man überhaupt nicht richtig, was dort alles passiert, wer wofür zuständig ist und wen man was fragen kann.

 

Ich kann jedenfalls mit Sicherheit sagen, dass ich gar keine Ahnung hatte, was ich tun soll, als mein Liebster plötzlich auf der Palliativstation lag. Ich habe anfangs nicht mal gecheckt, dass es auch eine Palliativstation ist. Gastroenterologie, Onkologie, Palliativ-Abteilung: Das lag dort alles nebeneinander, und alles passte auf ihn, und niemand vom Personal kam jemals auf mich zu und bot irgendeine Hilfe an, obwohl ich tagelang an seinem Bett saß. Nur eine einzige Krankenschwester sprach mir Mut zu und sagte, dass ich doch einfach über die Besuchszeiten hinaus bei ihm bleiben solle, er brauche das jetzt ja. Der diensthabende Arzt behauptete noch am Morgen seines Todes: "Alles so weit in Ordnung." Da wusste ich Laiin schon, dass er heute sterben wird. Sonst wusste ich nichts - nur dass ich für ihn da sein will und werde.

 

Weil es natürlich besser ist, nicht so unvorbereitet zu sein, erzählen Sarah und Katrin von den diversen Stellen, an die man sich wenden kann - Sozialdienst, Seelsorgende, ambulante Hospizdienste. Und der beste Rat ist: Fragen, fragen, fragen! Auch wenn die Ärzt:innen und Pflegenden ungeduldig sein sollten. Zeitdruck ist überall, Empathie nicht immer - und manchmal fehlt einem die Kraft, sich dagegen aufzulehnen. Mit mehr Informationen in der Hinterhand ist es bestimmt etwas leichter, sich nicht einschüchtern zu lassen. Die beiden haben viele kleine Ideen aufgeschrieben, auf die man von allein vielleicht nicht käme - wie zum Beispiel: Einen Zettel für die Pflegenden am Krankenbett aufzuhängen, auf dem man freundlich einige Informationen notiert, die sie über die Sterbenden wissen sollten - welche Pflegemittel sie vertragen, wie ihre Bezugspersonen heißen, praktische Dinge eben. Und ein Dank schadet nie!

 

Bei all den Orientierungshilfen ist das Beeindruckendste an diesem Buch allerdings, wie offen Katrin und Sarah von ihren eigenen Verlusten erzählen - und wie sie sich dabei so nahe kamen, weil sie viele besondere Momente teilen durften. "Herzens-Schwestern" nennt es Katrin. Sie hat es etwa Sarah zu verdanken, dass sie doch noch Fotos von ihrer Tochter Clara gemacht hat, die mit sechs Monaten starb. Wenn Sarah ihr nicht von dieser Möglichkeit erzählt hätte, hätte Katrin wohl gar nicht daran gedacht, dass sie ihr totes Kind fotografieren könnte. Und jetzt sind die Bilder ein Schatz. Genau darum geht es: Im Chaos des Verlust weiß man oft gar nicht, was man tut, tun könnte, tun sollte, tun darf. Ich habe mich später zum Beispiel gewundert, warum ich gar nicht daran gedacht habe, meinem Liebsten irgendwelche Klamotten anziehen zu lassen, bevor sein Körper zum Krematorium gebracht wurde. Wahrscheinlich deshalb: Für mich war es nicht mehr er, nur noch sein Körper. Und der spielte keine Rolle mehr. Es war die Bonbonhülle, doch der Drops war gelutscht - so hat es meine Sterbebegleitungs-Lehrerin Claudia Cardinal mal gesagt. Das klingt vielleicht etwas flapsig, im Kern stimmt es: Seine Seele war längst woanders. So konnte ich auch an seinem Sarg stehen, ohne zu schreien - für mich war er nicht drin in dieser Holzkiste. Und dennoch: Ich hätte das gern bewusst entschieden, doch mir war gar nicht klar, was zwischen Tod und Beerdigung alles passiert und möglich ist.

 

Auch um die Trauer geht es in "Sarggeschichten". Um Fragen wie: Welche Erinnerungen belasten einen, welche tun gut? Hilt mir meine Art zu trauen - oder blockiert sie mich? Natürlich weisen die beiden dabei darauf hin, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges geändert hat, was die professionelle Sicht auf den Trauerprozess angeht: Zum Glück haben sich alle vernünftigen Therapeut:innen und Trauerbegleiter:innen längst von der Idee des "Loslassens" verabschiedet. Wir dürfen jetzt mit den Gestorbenen verbunden bleiben, auf eine neue Art, aber nicht weniger liebevoll. Und wir müssen die Trauer nicht verbergen, wir dürfen sie ausleben - auch wenn das nicht allen passt. Wie Sarah schreibt: "Kein Mensch war jemals weniger traurig, weil jemand gesagt hat: ,Du musst nicht traurig sein.' Man kann Trauer nicht wegreden. Sie braucht ihren Platz."

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