Trauer ohne Weichzeichner: „The Kominsky Method“ (Netflix)
Es ist ja nicht so, dass es keine Serien über den Tod gibt, allein in all den Krankenhäusern von „Emergency Room“ über „Dr. House“ bis zu „Grey’s Anatomy“ wird ständig gestorben. Aber meistens geht es dort um Diagnosen und den Kampf gegen die Symptome, um all die Umstände und Überraschungen, natürlich auch um Hoffnung und Verzweiflung. Für die Trauer ist dann allerdings kaum Platz, denn sobald der Patient in die Pathologie gerollt wird, sind die Ärzte ja nicht mehr zuständig – und inmitten der Überforderungen des Alltags interessieren sich (wie im echten Leben) die meisten wenig für die Hinterbliebenen. Vielleicht sind Arzt- und Krankenhausserien auch deshalb oft so deprimierend. Wenn der Rettungs-, also der Action-Aspekt vorbei ist, bleibt nichts Substanzielles übrig. (Außer bei „House“, ein Fall für sich.)
In „The Kominsky Method“ geht es um zwei Freunde, den Schauspiellehrer Sandy (Michael Douglas) und seinen Agenten Norman (Alan Arkin). Schon der erste Blick auf Douglas‘ Gesicht macht klar, dass es hier anders zugeht als in den üblichen Sitcoms. Es wird nichts, aber auch gar nichts romantisiert. Weder das Alter noch das Sterben noch der Tod. Douglas hat Längs- und Querfalten auf der Stirn, das ist selten und besonders schön, weil er eine Weile so glattgebügelt wirkte und nun wieder ganz er selbst ist. Als Schauspiellehrer bringt Sandy seinen Schüler*innen große Auftritte bei, das Pathos fließt in Strömen – und dann, in der schnöden Realität, schafft er es kaum zu Normans Haus, will sich vor dem Besuch bei dessen todkranker Ehefrau lieber drücken. Eileen (Susan Sullivan) bittet ihn schließlich um einen letzten Gefallen: Kümmere dich um Norman, wenn ich weg bin! Natürlich ein Klischee, und gleichzeitig ist es so rührend zu sehen, dass sich Sandy genau davor am meisten gefürchtet hat: dass er jetzt Verantwortung übernehmen muss. Ihm fehlen die Worte, aber zumindest gelingt ihm eine feste Umarmung für seinen besten Freund. (Und das ist viel wichtiger als die richtigen Sätze, die es sowieso nicht gibt: einfach da sein.)
Was „Kominsky“ sehr schön, weil ohne Weichzeichnung, aber voller Mitgefühl, zeigt: Dass wir zum Ende unseres Lebens hin nicht nur viel Trauer ertragen müssen, sondern auch noch andere Verluste – Sandys Ego leidet unter seinen Prostataproblemen, Normans Souveränität wird von der entfremdeten Tochter eingerissen. Sie müssen sich auch von den glorreichen Vorstellungen verabschieden, die sie von sich selbst hatten. Plötzlich ist nichts mehr sicher, vor allem nicht der Platz im eigenen Leben. Als Eileen schließlich stirbt, kann sich Norman kaum von ihr trennen, und wer könnte ihm das nach 47 gemeinsamen Jahren verdenken? Leider drängen ihn alle, doch endlich nach Hause zu gehen – und dort haut die Trauer erst richtig rein. Möglicherweise wäre es sinnvoll gewesen, doch einfach noch länger am Totenbett sitzen zu bleiben, ein paar gemeinsame Stunden mehr können manchmal sehr helfen. Dass im Krankenhausbetrieb, aber auch bei einem Tod zu Hause oft überstürzt reagiert wird, ist verständlich, macht den Abschied allerdings noch schwerer. Denn in dieser Situation tröstet ja eigentlich nichts, liebevolle Worte kaum mehr als irgendwelche Phrasen, Umarmungen so wenig wie andere Mitgefühlsbekundungen. Es bleibt einem nur die Chance, sich wenigstens einigermaßen in Ruhe vom Körper der oder des Geliebten verabschieden zu dürfen. Die Seele, der Geist, wie immer wir es nennen, bleibt sowieso.
Die Überforderung, die Panik angesichts des großen schwarzen Lochs wird dann schnell von Geschäftigkeit übertüncht, so auch bei Norman. Die Beerdigung will gut organisiert sein. Es kommen einige Prominente, ist ja Hollywood, es gibt viele Lacher, Plattitüden werden ausgetauscht, alles wirkt surreal – als Trauernde*r sitzt man da wie ein Außerirdischer, scheinbar assimiliert, aber eigentlich in einer komplett anderen Welt. Norman sieht Eileen, er spricht mit ihr – und die anderen machen sich Sorgen um seinen Geisteszustand, dabei ist das ein völlig normaler Vorgang: Die meisten Trauernden reden mit ihren geliebten Gestorbenen. Sie sind ja nicht weg, sie sind nur woanders. Norman, so scheint es, kommt ganz gut zurecht, er ist ja ein harter Knochen. Dann geht er zur Reinigung und bekommt ein Kleid seiner Frau ausgehändigt, das die dort vor Monaten vergessen hatte. Die Fassade fällt innerhalb von Sekunden zusammen. Er bricht in Tränen aus.
Und das waren nur die ersten drei Folgen, demnächst gibt es eine dritte Staffel. Dass diese Serie, in der so wahrhaft von den härtesten Momenten erzählt wird, von Chuck Lorre stammt, ist eigentlich gar nicht so überraschend. Der Erfinder von „Two And A Half Men“ und „The Big Bang Theory“ hat auch schon bei diesen weniger tiefsinnigen Serien zwischen simple Lacher die eine oder andere Lebensweisheit eingebaut. Das Wort „Sitcom“ mag er inzwischen übrigens nicht mehr: „Es geht hier ja nicht um Situationen. Die Situation ist einfach das Leben.“ Und zu dem gehören das Alter und der Tod nun mal dazu. Das führt uns Chuck Lorre in „The Kominsky Method“ schonungslos und zugleich empathisch vor Augen – und lachen dürfen wir dabei trotzdem. Solange wir können!